Auf zu neuen Ufern

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Nach dem schaurig-schönen Nebelabenteuer am Vormittag hatten wir bereits einige Seemeilen wettgemacht, als wir auf das 13.500-Seelen-Städtchen Jutaí stießen. 

Wir entschieden uns, dort einen kleinen Zwischenstopp einzulegen. Ich besuchte die auffällige Kirche mit der sonnengelben Fassade, schlenderte durch die rustikalen Straßen entlang der von Palmen und Sträuchern umsäumten, bunten Hütten und trank abschließend auf dem lokalen Marktplatz in einer gemütlichen Bar mein erstes brasilianisches Bier. Der Ort vermittelte mir einen wunderbaren Einblick in das naturnahe Leben der Kleinstädter am Ufer des Amazonas.

Zurück an Bord nahmen wir zügig wieder Fahrt auf. Unser Schiff schlängelte sich stromaufwärts durch eine der am dünnsten besiedelten Regionen entlang des gigantischen Flusses. Kaum ein Mensch lebte dort. Einige Flächen waren wegen längerer Wasserhochstände nur spärlich bewachsen, Brände durch Blitzeinschläge hatten ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Zahllose Rabengeier, die das Flussufer unentwegt nach Aas absuchten, ließen uns nicht aus den Augen. Die Umgebung wirkte surreal und die teils starke Strömung schien unberechenbar. Doch nach und nach wurde das Ufer wieder üppiger, grüner, lebendiger, das Wasser ruhiger. Ich nutzte den restlichen Tag, um mich mit der umfangreichen Historie der indigenen Bevölkerung des Amazonas zu beschäftigen.

Das milde tropische Klima während meines Aufenthalts im August empfand ich als nahezu perfekt. Die Nächte waren angenehm kühl, die ersten Strahlen der Morgendämmerung ein Genuss auf der Haut. Schnell stiegen die Temperaturen und wohlige Wärme umgab mich. Lediglich gegen Mittag erhitzte das Land für ein paar Stunden auf ein anstrengendes Maß.

In diesem Zeitraum suchte ich Schutz im Schatten des Camps. Hin und wieder entspannte ich in einem Thermalbecken, das von einer natürlichen Quelle aus 60 Metern Tiefe gespeist wurde. Die Sicht von dem Ruhepol aus war grandios. Vor mir erstreckte sich eine sumpfige Überschwemmungsebene, die die verschiedensten Wildtiere anlockte.

Die Ureinwohner Die Ticuner

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Noch bevor die Europäer Brasilien ab dem 16. Jahrhundert besiedelten, lebten dort bereits geschätzt drei Millionen Ureinwohner im Einklang mit der Natur. Heute existieren weniger als eine Millionen von ihnen, verteilt auf etwa 300 verschiedene Stämme. Einige isolierte Völker haben sich aufgrund von negativen Erfahrungen bewusst von der Gesellschaft zurückgezogen. Da viele Gebiete im tropischen Regenwald bis heute unerforscht sind, wird vermutet, dass auch noch eine unbestimmte Anzahl völlig unbekannter Völker existiert. Der Großteil der indigenen Bevölkerung hat jedoch Kontakt zur Zivilisation. Immer mehr von ihnen lassen sich offiziell als Einwohner Brasiliens registrieren. Sie stehen vor der Herausforderung ihre ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten und die Lebendigkeit ihrer äußerst reichen Kultur zu bewahren. Ich bekam nun die außergewöhnliche Gelegenheit, einen Tag in einem Dorf des vorrangig am Amazonas beheimateten Ticuna Stammes zu verbringen.

Seit einer halben Stunde preschten wir mit dem Speedboot über den Rio Içá, einen langen Seitenarm des großen Stroms, als sich zwei Einheimische mit auffälligen Handbewegungen vom Ufer aus bemerkbar machten. Sie erwarteten uns bereits. Mit ihrer Hilfe sollten wir den Weg durch den Dschungel zum Dorf Betânia finden. Wir befestigten das Boot an einem auf die Schnelle in den Boden gestampften Balken und betraten das Land der Ticuna.

Vor wenigen Wochen war die Umgebung noch vollständig überschwemmt und wir hätten mit Kanus über enge Flussausläufer tief in den Dschungel hinein paddeln können. Doch die Trockenzeit hatte das Landschaftsbild wieder einmal umgekrempelt und so durchschritten wir die Wildnis zu Fuß. Ein provisorischer Pfad aus Brettern, Ästen und Stämmen half uns sicher über den matschigen Waldboden hinweg und gab die Richtung vor. Dumpfes, stetig lauter werdendes Trommeln hallte zu mir durch und kündigte den Zielort an. Schließlich erkannte ich aus einiger Entfernung einen Mann mit symbolhafter Kopfbedeckung: Ofinho, den Kaziken. Der Häuptling des Ticuna Stammes ließ es sich nicht nehmen, die seltenen Gäste persönlich zu begrüßen…

Wir folgten dem Kaziken tiefer in den Wald hinein, bis zwischen all dem üppigen Dschungelgewächs unerwartet eine lange Treppe erschien. Die simple Holzkonstruktion, lediglich aus einigen geschickt in den Boden eingebetteten schmalen Baumstämmen bestehend, führte uns zügig eine steile Anhöhe hinauf. Oben angekommen durchschritten wir einen Torbogen aus Palmengeflecht: Wir hatten das Dorf Betânia erreicht.

Eine Schar von Dorfbewohnerinnen, allesamt traditionell gekleidet, umschloss uns freundschaftlich. Ich wurde mit einer Kette aus Schilf und Gräsern behangen und herzlich willkommen geheißen. Den sozialen Mittelpunkt des Dorfes bildeten ein Gemeindehaus, die sogenannte Maloca, sowie der weitläufige Platz drumherum. Die ganze Dorfgemeinschaft war wohl eingetroffen, denn nur sehr selten befahren Reisende diesen Bereich des amazonischen Oberlaufs. Ich mischte mich unter das Volk.

Die Neugier und das Interesse beruhten auf Gegenseitigkeit und so beäugte man sich respektvoll und lächelnd. Nach einer Weile wurden wir in die Maloca gebeten. Ich nahm Platz auf einem Holzschemel in unmittelbarer Nähe zu einer offenen Feuerstelle, auf der frisch gefangener Fisch gegrillt wurde. Mit einem Palmenwedel entfachte eine Einheimische die Glut.

Das milde tropische Klima während meines Aufenthalts im August empfand ich als nahezu perfekt. Die Nächte waren angenehm kühl, die ersten Strahlen der Morgendämmerung ein Genuss auf der Haut. Schnell stiegen die Temperaturen und wohlige Wärme umgab mich. Lediglich gegen Mittag erhitzte das Land für ein paar Stunden auf ein anstrengendes Maß.

In der Mitte des geräumigen Langhauses versammelte sich eine Gruppe aus 16 weiblichen Ticuna unterschiedlichen Alters und brachte sich in Position. Ein Stammesältester gab den Takt vor. Nun begann, uns zur Demonstration, eine Auswahl beeindruckender Ritualtänze, die stets zu bedeutsamen Anlässen vollführt werden. Plötzlich griff eine der Damen nach meiner Hand. Ich wurde kurz in den Tanz eingewiesen, dann bewegte ich mich auch schon zum Klang ihres Gesangs und ließ mich tragen vom stetigen Rhythmus der Trommeln und Rasseln…

Ein appetitlicher Duft durchzog die Maloca. Einige Dorfbewohnerinnen breiteten auf einem großen Tisch herrliche Köstlichkeiten ihrer traditionellen Küche aus. Wir durften an dem Festmahl teilhaben. Die Ticuna verbringen viel Zeit damit, sich um ihr Essen zu kümmern. Sie gehen Fischen, sammeln wilde Früchte und ernten, was sie anbauen. Unweigerlich schossen mir wunderbare Erinnerungen aus meiner Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof in den Kopf. Bedächtig füllte ich eine Kalebasse-Schale mit gegrilltem Fisch, Yamswurzeln, Kochbananen und Açaí-Beeren. Wir versammelten uns um das Feuer herum, dann erhob der Kazike das Wort.

Aus erster Hand erfuhren wir mehr über die Lebensweise der Ticuna. Die Kunst der Anfertigung ritueller Gegenstände wie Masken und Musikinstrumente sei Männersache, ebenso das Angeln. Das Handwerk dagegen liege in der Verantwortung der Frauen. Sie wüssten genau, wie man Körbe, Siebe, Fischernetze, Halsketten und einiges mehr herstelle. Den Männern wiederum obläge die Beschaffung der Materialen dafür. Ihre Kinder würden viermal wöchentlich die Dorfschule besuchen und auf Portugiesisch beschult werden. Zusätzlich bekämen sie einmal pro Woche Unterricht in ihrer eigenen Sprache. Das Ticuna ist eine isolierte Sprache, wird nur von Stammesmitgliedern beherrscht. Lange gab es keine indigene Schriftsprache. Doch ich erfuhr von der baldigen Veröffentlichung eines ersten Schulbuches – eine Revolution. Den Ticuna sei es wichtig, an ihren Traditionen festzuhalten, verdeutlichte er, aber dennoch seien sie bestrebt, die Beziehungen zur umliegenden Gesellschaft zu erweitern. Wenn sie es für sinnvoll erachteten, würden sie Errungenschaften der westlichen Welt in ihren Alltag integrieren und den technischen Fortschritt nutzen.

Der Tag neigte sich viel zu schnell dem Ende. Zuletzt erkundigte sich der Häuptling noch nach meiner Funktion in der Gruppe, so sei ihm doch meine kräftige Statue aufgefallen, mit der ich im Stammesalltag wohl ordentlich würde mit anpacken können. Er hieß mich jederzeit herzlich Willkommen, dann verabschiedeten wir uns. Mit seinen letzten Worten im Ohr zog ich fröhlich von dannen.

Das Unwetter

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Für den Nachmittag war eine Boots-Exkursion zu einer Kaiman Lagune geplant – doch es kam gänzlich anders, als erwartet. Kaum hatten wir im Beiboot Platz genommen und uns einige Meilen vom Mutterschiff entfernt, zogen düstere Wolken auf und der Himmel verdunkelte sich.

Stürmische Böen ließen das Boot in alle Richtungen schwanken. Die eben noch ruhige Wasseroberfläche verwandelte sich in tausende kleinste Windwellen, die meine Blicke beinah hypnotisch auf sich zogen. Starkregen prasselte auf das Verdeck, so ohrenbetäubend, dass ich die Worte des Guides, der etwas zu mir rüber brüllte, nicht verstand. Flusswasser preschte von allen Seiten ans und ins Boot. Die Wetterküche des Amazonas brodelte. Wir entschieden uns, zügig zum Schiff zurückzukehren. Völlig durchnässt aber wohlbehalten wieder an Bord, begann das Unwetter erst richtig zu wüten. Ich lief einige Runden über das Deck und beobachte das intensive Naturspektakel. Aufgrund seiner zwei Gleitrümpfe verdrängte der Katamaran das Wasser des aufgewühlten Flusses effektiv und bot uns eine möglichst sichere Fahrt. Dennoch war dem Kapitän eine gewisse Anspannung anzumerken. So plötzlich der Regen gekommen war, so schnell ließ er auch wieder nach.

Doch der Wind legte noch deutlich zu, nahm gar stürmische Ausmaße an. In der Ferne beobachtete ich eine kilometerlange Sandbank in ungeahnte Höhen aufwirbeln. Gewitterwolken, sprühendes Flusswasser und Sandsturm: Alles vermischte sich zu einem atemberaubenden Gesamtkunstwerk. Irgendwo dazwischen lugte die rote Sonnenglut der Abenddämmerung hindurch, bis sie im tosenden Amazonasbecken versank. In stockfinsterer Dunkelheit sah man noch Stunden später grelle Blitze den Himmel erhellen, der Fluss jedoch hatte sich schon längst wieder beruhigt. Im gesamten Regenwaldgebiet herrschen konstant unzählige Gewitter. Eines davon erlebte ich an diesem Abend hautnah. Im Nachhinein erfuhr ich von einem Schiff, das an eben diesem Tag unweit von uns gekentert war. Glücklicherweise hatte sich die Besatzung an Land retten können. Das Wetter entlang des größten Flusses der Erde ist unberechenbar. Doch ohne Regen kein Regenwald und ohne Regenwald kein Leben.

Zu Wasser, über staubige Straßen und durch den Dschungel

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Gegen 7.30 Uhr trafen wir mit dem Speedboot nahe der Grenze zu Peru am Hafen der Kleinstadt Benjamin Constant ein. Mehr als eine Stunde rasanter Flussfahrt lag hinter uns. Wir waren bereits weit entfernt von unserem Hausboot, doch der Trip hatte gerade erst begonnen. Direkt am Steg stand ein Auto für die Weiterfahrt bereit. Der Fahrer startete den Motor des in die Jahre gekommenen Dschungeltaxis. Mit durchdrehenden Reifen begann die holprige Tour vom Ufer weg über matschigen Erd- und Sandboden. Während wir alsbald in hohem Tempo kreuz und quer durch die engen Straßen und Gassen der Innenstadt pesten, versuchte ich einige Eindrücke der 44.000 Einwohner umfassenden Flussstadt zu erhaschen.

Schließlich bogen wir auf die einzige existierende Landstraße ab, die uns aus dem Ort heraus in kaum besiedeltes Dschungel-Territorium lenkte. Der Sprit war knapp und mit einer Tankstelle war auf der Strecke, die vor uns lag, nicht zu rechnen. Der Fahrer stoppte bei einem am Ortsausgang stehenden Einheimischen. Er hielt mehrere Plastikflaschen voller Benzin bereit und wartete auf Kundschaft. Als simple Einmanntankstelle befüllte er das Taxi und wir machten uns wieder auf den Weg. 

Laut bellende Streuner liefen neben uns her oder überquerten unachtsam vor uns die Straße. Menschen sah man kaum noch. Lediglich hin und wieder passierten wir vereinzelt einsame Holzbauten, bis auch diese ausblieben.

Die staubige Autofahrt über etliche Schlaglöcher verlief direkt durch die schier unendlichen Weiten des majestätischen Regenwaldes und endete nach gut einer Stunde abrupt, als wir abseits der Landstraße mitten im Nirgendwo auf einem schmalen Dschungelpfad anhielten. Ich stieg aus dem PKW und ließ den Blick schweifen. Eine atemberaubend facettenreiche Vegetation umgab mich. Von hier aus ging die Reise zu Fuß weiter, denn die letzte Etappe führte geradewegs in die unbefahrbaren Tiefen des amazonischen Primärwaldes mit seinen prachtvollen, jahrhundertealten Baumriesen. Zügig marschierten wir los, denn es galt eine außergewöhnliche Verabredung einzuhalten: das Treffen mit den Matis, dem indigenen Volk, das die Kraft und Raffinesse des Jaguars verehrt…

Picknick im Dschungel

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Das Volk der Matis ist beheimatet im Nordwesten Brasiliens nahe der Grenze zu Peru. Die erfahrenen Jäger und Sammler durchwanderten dort einst als Halbnomaden das riesige Javari-Tal mit einer Fläche so groß wie Österreich. Im Laufe der 1970er nahm die westliche Welt Kontakt zu ihnen auf – mit verheerenden Folgen. Eingeschleppte Krankheiten und aggressive Waldrodung dezimierten die Bevölkerung der Matis stark. Bis 1983 überlebten weniger als 90 von ihnen. Drei der fünf Stammesdörfer wurden zur Geisterstadt, in den zwei verbliebenen leben sie heute zurückgezogen und ursprünglich. Die Umgebung wurde zum indigenen Schutzgebiet erklärt. Durch die damaligen Ereignisse ging das Vertrauen in ihre eigene kulturelle Identität beinah verloren. Doch die Matis sind außergewöhnlich lebensbejahend.

Im Laufe der Jahre hat sich ihre Population erholt und sie fanden zu neuer Stärke. Etwas mehr als 300 Mitglieder zählt ihr Volk aktuell. Während die Ältesten um die Aufrechterhaltung ihrer traditionellen Lebensweise bemüht sind, suchen die Jüngeren eine enge Verbindung zur brasilianischen Gesellschaft, insbesondere wegen der Schulbildung und dem modernen Lebensstil. So war es dann auch die jüngere Generation der Matis, die einer Zusammenkunft mit uns freudig zustimmte.

Sechs Tage würde deren aufwendige Anreise aus den Tiefen des Urwaldes dauern, ließ sie mich wissen. Dann vernahm ich plötzlich ein sanftes Knistern, weißer Rauch strömte durch das Pflanzengewirr. Mit einem gemütlichen Lagerfeuer, gegrilltem Fisch, einem flugs zusammengebauten Unterschlupf und einer faszinierend kreativen Zeremonie hieß uns das bemerkenswert lebhafte Volk der Matis willkommen…

Kaum hatte ich einige Meter des Urwaldespfades beschritten, kam uns eine Eingeborene des Marubo Stammes entgegen. Die Frau diente als Vermittlerin und Übersetzerin für unser Treffen mit den Matis, denn für Fremde ist es verboten, das Reservat zu betreten und selbstständig Kontakt aufzunehmen. Sie führte uns kilometerweit durch dichtesten Dschungel, ungewiss ob die Matis zeitgleich auf der vereinbarten Lichtung erscheinen würden.

Der heilige Baum

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Eine der Eingeborenen pflückte eine kastanienähnliche Frucht von einem Strauch, der im Dschungel allerorts wuchs. Sie zerdrückte die innenliegenden, rotgelben Samen mit ihren Fingerspitzen. Sogleich entstand eine kräftige orangefarbige Paste, mit der sie ihr Gesicht und meines verzierte. Urucum nennen die Brasilianer die Pflanze, die im tropischen Regenwald gedeiht und von indigenen Völkern wie den Matis genutzt wird. Als kosmetisches Präparat wird sie bei Zeremonien oder Kriegsritualen eingesetzt. Zudem dient sie traditionell als Sonnen- und Insektenschutz, Aphrodisiakum und Leber-Tonikum.

Die Pflanzenwelt des Amazonas ist unglaublich reichhaltig und ihr Nutzen für die Medizin unendlich kostbar. Nicht umsonst haben einige der größten Pharmakonzerne Labore im Amazonas errichtet. Sie profitieren von der jahrtausendelangen Erfahrung der Ureinwohner. Einer Pflanze dort wird eine ganz besondere Bedeutung zugesprochen:

Der Samaúma–Baum gilt bei den indigenen Völkern als heilig. Mit einer Höhe von bis zu 90 Metern gehört er zu den größten Gewächsen der Welt und ragt weit über das Dschungeldach hinaus. In seinem Stamm lagert er riesige Mengen Wasser ein, die in Zeiten der Dürre durch seine Wurzeln in den Boden freigesetzt werden und umliegende Pflanzen bewässern. Dies brachte ihm auch die Namen „Mutter des Waldes” und „Baum des Lebens” ein. Nach dem Glauben der Ureinwohner vereinen sich alle Verstorbenen als Geister des Waldes in der Krone des Samaúma.

Wer den Film Avatar gesehen hat, erkennt womöglich Parallelen. Der mächtige Baum inspirierte James Cameron zu seinem Film über ein Urvolk, das einen heiligen Baum verehrt, den Fremde zerstören wollen. Als ich den imposanten Stamm vor mir sah, legte ich meine Hände instinktiv auf seine gewaltigen Wurzeln. Ich stellte mir vor, wie dieses außergewöhnliche Naturwunder bereits seit 500 Jahren über den Urwald wacht. Unmittelbar und eindringlich wurden mir seine heilende Energie und Kraft bewusst.

Das Dreiländereck

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Zurück vom Abenteuer mit den Matis begann meine finale Fahrt auf dem Hausboot. Nicht mehr lange und wir würden das Dreiländereck erreichen. Dort fließt der Amazonas durch gleich drei südamerikanische Länder: Brasilien, Peru und Kolumbien. Im Grenzgebiet “Tres Fronteras“ würde meine erste Amazonasreise nach etwa 1.700 Kilometern auf dem größten Fluss unserer Erde also zu Ende gehen. Doch nicht bevor ich nicht einmal peruanisches sowie kolumbianisches Gebiet betreten und mir zumindest einen ersten Eindruck von diesen Ländern verschafft hatte.

Gegen Nachmittag erreichten wir das Ziel und gingen in Tabatinga, dem brasilianischen Grenzort, vor Anker. Wir nutzten ein Flusstaxi, um damit nach Santa Rosa in Peru überzusetzen und dort ein wenig durch das beschauliche Dorf zu schlendern. Die Hauptstraße führte vorbei an zahlreichen einfachen Holzbauten, einem Souvenirshop mit allerlei Klimbim und einigen gemütlichen Bars. Hier und da boten Einheimische am Straßenrand selbstgemachte Backwaren oder Gegrilltes an.

Eine Gruppe Jugendlicher kam fröhlich auf mich zu und bat kichernd um ein gemeinsames Foto. Wieder einmal erfreute mich die sympathische und lebensfrohe Weise der Südamerikaner. 

Weiter die Hauptstraße entlang, endete diese abrupt am Favela, wie man das Armenviertel dort nennt. Ein Blick gen Himmel verriet mir: Gleich würde es beginnen zu regnen. Das großräumige und rustikale Restaurant “Brisas del Amazonas“, dessen Gastraum aus einer überdachten Terrasse bestand, lud zum Schutzsuchen ein. Wir entschieden uns, das nahende Unwetter bei einem Drink auszusitzen.

Innerhalb von Minuten brach das Donnerwetter über Santa Rosa herein. Bildschöne Aras gesellten sich zu uns und gingen unter dem Tisch in Deckung. Es goss wie aus Eimern, heulender Sturmwind wirbelte den Regen durch die gesamte Räumlichkeit. Alle Gäste versammelten sich in der Raummitte, um möglichst trocken zu bleiben. Doch das undichte Dach ließ Wasser in Strömen eindringen. Ein kompletter Stromausfall sorgte für den krönenden Abschluss des Spektakels. Die Angestellten aber blieben entspannt. Für sie war es nur eine gewöhnliche Laune der tropischen Natur.

Ein Tag in Kolumbien

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Die Nacht war ungewohnt still. Es war die erste meiner Reise, in der der brummende Schiffsmotor nicht unentwegt auf Hochtouren lief, um gegen die Strömung des Amazonas anzukämpfen. Bewegungslos ruhte das Hausboot am Flusshafen von Tabatinga und wartete auf meinen Abschied. Doch der Flieger nach Deutschland würde erst am nächsten Morgen abheben. So blieb mir noch ein ganzer Tag im geografisch außergewöhnlichen Dreiländereck.

Beide Orte gehen nahtlos ineinander über – ja, sind praktisch zusammengewachsen. Ihre gemeinsame Grenze kann jederzeit ohne Kontrolle überquert werden, weshalb ich sie beide gerne “Stadt der zwei Namen“ nenne. Leticia ist die Hauptstadt der kolumbianischen Amazonas-Provinz, der südlichste Punkt Kolumbiens und wird umschlossen vom Regenwald sowie dem Hauptstrom. Sie verfügt über keinerlei Straßenverbindungen zum Rest des Landes. Ein kleiner Flughafen ermöglicht jedoch eine schnelle und sichere An- und Abreise. Auch ich würde meinen Rückflug am kommenden Tag von dort aus starten.

Nachdem ich gestern bereits von Brasilien aus an das gegenüberliegende Ufer nach Peru gefahren war und dort einige stürmische Stunden in Santa Rosa verlebt hatte, nutzte ich die Zeit heute für einen Trip nach Kolumbien. Leticia ist Tabatingas Zwillingsstadt.

Die nächsten Stunden folgte ich jedoch noch meinem Entdeckungsdrang. Und so kam es, dass ich mit einem Tuk Tuk, einer motorisierten Rikscha, durch Leticia sauste und das urbane Treiben erkundete. Ich schlenderte über die belebte Einkaufsstraße, schaute beim geschäftigen Obst- und Fischmarkt vorbei, pausierte im Vogelpark “Santander“ und besuchte die nahegelegene Kathedrale. Erst gegen späten Nachmittag kehrte ich zum Hausboot zurück und suchte mir ein beschauliches Plätzchen auf dem Oberdeck. Während sich der Tag bei schwindendem Dämmerlicht langsam dem Ende neigte, lauschte ich ein vorerst letztes Mal den Klängen der tropischen Geräuschkulisse.

Auf Wiedersehen

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Meine letzte Handlung im Amazonas, diesem wunderbaren Teil Südamerikas: Dem Departamento de Polícia Federal Tabatinga einen Besuch abstatten, um den notwendigen Stempel für die Ausreise abzuholen. Mit herrlichen Erinnerungen und Andenken im Gepäck brach ich anschließend zum Flughafen von Leticia auf. Die vergangenen Wochen waren ein einziges großes Abenteuer – faszinierend, lehrreich und unvergesslich. Mit dem Hausboot über den gigantischen Amazonas in die Tiefen des kaum besuchten Regenwaldes vorzudringen und die einzigartige Landschaft, Tierwelt und das Leben der Ureinwohner kennenzulernen, war eine außergewöhnlich intensive Erfahrung. Doch im Amazonas Gebiet und in ganz Brasilien gibt es noch so viel mehr zu entdecken. Schon in wenigen Monaten werde ich zurückkehren und das Abenteuer mit einer Rundreise durch das fünftgrößte Land der Erde fortführen. Also sage ich:

Até breve, Brasil!

Teil 2

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