AUF SAFARI IN
Sambia
Ankunft in der Wildnis
Schon seit Kindheitstagen übt Afrikas Tierwelt eine enorme Anziehungskraft auf mich aus. Träumte ich von dem bunten Kontinent, hatte ich stets imposante Tiere vor Augen und in den Ohren: Trompetende Elefanten, brüllende Löwen und grunzende Flusspferde inmitten weit offener Savannen und fruchtbarer Flusstäler prägten mein Gedankenbild. Afrika wurde für mich zum Sehnsuchtsort. Die Vorstellung, diese wundersamen Geschöpfe eines Tages hautnah in freier Wildbahn erleben zu dürfen, reizte mich ungemein. Doch es sollte mehr als 40 Jahre dauern, bis ich meine erste Reise auf den zweitgrößten Kontinent der Erde plante. Zunächst musste ich mich für ein Land entscheiden. Immerhin teilt sich Afrika in 54 Staaten. Ich wählte eine Region im Süden, die zu den wildesten und unberührtesten Naturlandschaften überhaupt zählt.
Das Luangwa-Tal im Binnenstaat Sambia liegt weit abseits der Hauptstadt Lusaka. Die Bevölkerungsdichte ist minimal. Mehrere Nationalparks bewahren das natürliche Tierreich. Das South Luangwa Wildtierschutzgebiet, mein auserkorenes Reiseziel, umfasst knapp 9.000 km² und beheimatet mehr als 230 verschiedene Säugetiere und über 400 Vogelarten. Mittendurch schlängelt sich der noch vollständig naturbelassene Fluss Luangwa. Kein einziger Staudamm unterbricht das Lebenselixier des Tals – ein Segen für die zahlreichen Tierwesen. Einige privatgeführte Bush Camps, die sorgsam in die natürliche Umgebung integriert wurden, ermöglichen den wenigen Reisenden, die sich an diesem abgelegen Ort einfinden, spektakuläre Tierbeobachtungen.






Nach insgesamt 14 Stunden Flugzeit und einer holprigen Jeepfahrt tief hinein ins Naturgebiet, erreichte ich schließlich meine Unterkunft direkt am Ufer des Luangwa. Hier würde ich die ersten Tage meiner Reise verbringen. Kaum hatte ich meine beschauliche Lodge bezogen und auf der Terrasse Platz genommen, wurde ich auch schon von einer kecken Bande Steppenpaviane überrascht. Ein paar Meter entfernt suhlte sich ein gemütliches Flusspferd im kühlen Schlamm, während sich unweit davon eine gelenkige Giraffe breitbeinig vornüber beugte, um sich am Sumpfwasser zu laben. Ich war im Reich der wilden Tiere angekommen.
Der Beginn einer
unvergesslichen Erfahrung
Es waren erst wenige Stunden seit meiner Anreise vergangen, und schon machte ich unverhofft die ersten eindrucksvollen Tiersichtungen. Kleine wie große Wildtiere zeigten sich im und um das Camp herum. Dabei begann das eigentliche Wildschutzgebiet doch erst auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, der als natürliche Grenze fungierte. Im South Luangwa Nationalpark existiert eine enorm vielfältige Dichte an Wildtieren. In deren Mitte würde ich mich nun begeben.
Ein Ranger wartete bereits bei seinem Fahrzeug auf mich. Die größte Chance, viele verschiedene Exoten zu sehen und ihnen respektvoll nahe zu kommen, ermöglicht eine Pirschfahrt im offenen Geländewagen. Die Begleitung eines erfahrenen Rangers ist dabei unerlässlich. Er stellt sicher, dass das Safari-Erlebnis möglichst ohne Einfluss auf die Tierwelt geschieht und weiß in bedrohlichen Situationen richtig zu handeln. Als Neuling wurde ich zunächst hinreichend über Verhaltensweisen gebrieft. Dann ging das Abenteuer los.
Wir machten uns auf in Richtung der streng bewachten Überfahrt zum Naturschutzgebiet. Währenddessen kreuzte eine Impalas Herde unseren Weg. Die elegante Antilopenart mit den charakteristischen schwarzen Fellstreifen am Steiß und den leicht geschwungenen Hörnern sollte mir noch viele weitere Male begegnen.
Am Kontrollpunkt angelangt, leisteten wir eine Unterschrift und durften sodann auf die Pontonfähre auffahren, auf der lediglich ein einziges Fahrzeug Platz fand. Das Übersetzen musste mit Körperkraft vollbracht werden. Mit vereinten Kräften ruderten wir etwa 15 Minuten bis kurz vor das Westufer des Luangwa.
Plötzlich stoppte mein Vordermann. Auf den ersten Blick nur schwerlich zu erkennen, tauchte ein gut fünf Meter langes Krokodil an uns vorbei. Mit Bedacht vollendeten wir die Überquerung. „Mein tägliches Workout ist hiermit erfüllt!“, scherzte ich und bedankte mich bei den fleißigen Fährleuten, die diese Anstrengung täglich etliche Male wiederholen und dabei stets die Wasseroberfläche im Auge behalten. Wieder zurück im Geländewagen begannen unsere Suche nach Wildtieren und die Erkundung ihres natürlichen Lebensraums.




African Massage
Vor meinen Augen tummelte sich das tierische Leben. Zielsicher fuhr mich der Ranger durch die Weiten des Nationalparks von einer atemberaubenden Szenerie zur Nächsten. Majestätische Löwen flanierten nach aktiver Nacht gesättigt am Ufer des Luangwa. Schrill kreischende Steppenpaviane hangelten sich spielend durch das knorrige Geäst der vorherrschenden Mopane Bäume. Ein grell glänzendes Zebra wälzte sich mit seinem gepflegten Fell im Staub und entledigte sich damit lästiger Insekten. Drei Giraffen kamen zusammen und posierten für ein Familienporträt. Ein Elefanten-Jungtier gesellte sich zu unserem Fahrzeug, stupste mir liebevoll mit seinem Rüssel gegen die Schulter und stapfte Ohren wackelnd davon – ein Zeichen von Zufriedenheit.







Ich fühlte eine Bandbreite an Emotionen: Freude, Neugierde, Nervenkitzel, Überraschung, Wohlgefühl und Dankbarkeit. Unentwegt gab es etwas zu erleben. Es schien, als würden wir allerorts immer zur rechten Zeit eintreffen. Die raue Schönheit der Landschaft untermalte die Präsenz der Wildtiere. Mal querten wir offene Grasebenen, die gelb und grün in der Sonne schimmerten, mal fuhren wir durch spärlich bewachsene Waldpassagen, in denen uralte Baobab Baumgiganten beeindruckend herausstachen. Die wenigen provisorischen Fahrwege erlaubten uns, rasch über den oft unwegsamen Untergrund der Naturregion hinweg zu steuern. Jedes Jahr nach der Regenzeit müssten diese neu geebnet werden, erfuhr ich. Der Niederschlag lasse sie vollständig verschwinden. Zahlreiche Nebenflüsse des Luangwa wandelten sich in der Trockenzeit zu staubigen Sandkanälen. Vorsichtig manövrierten wir durch einen hindurch, um in abgelegene Bereiche vorzudringen.
An solch heiklen Stellen schaukelten, ruckelten, hopsten und kippten wir in Schrittgeschwindigkeit voran. „Wie gefällt dir die African Massage?“, fragte mich der Ranger und schmunzelte. Stunden vergingen wie Augenblicke. Wie im Rausch erlebte ich meinen ersten Ausflug in den South Luangwa Nationalpark. In den folgenden Tagen beschenkte mich der Ort noch mit vielen weiteren unvergesslichen Erinnerungen.
Tierischer Babyboom
Eine Elefantenherde lief ohne Eile vor mir her. Die Dickhäuter marschierten einer nach dem anderen hintereinander weg. Nur der Kleinste der Familie tänzelte aus der Reihe.
Während die Giganten der Wildnis langsam voranschritten, bestimmte das wenige Monate alte Jungtier sein eigenes Tempo und lockerte das stete Geschehen auf. Ständig wirbelte es seinen Rüssel unkontrolliert herum. Nicht verwunderlich: Immerhin besteht der multifunktionelle Körperteil aus 40.000 Muskeln und so musste das Elefantenkalb erst lernen, ihn richtig zu beherrschen. Mit dem Rüssel Nahrung aufzunehmen, zu kommunizieren und ihn als Werkzeug zu nutzen, würde noch einiges an Übung erfordern. Doch damit zu spielen, schien ihm eine Menge Spaß zu bereiten.
Die Begegnung mit Tierbabies und Jungtieren im South Luangwa Nationalpark blieb zu meiner Freude keine Seltenheit. Auf den täglichen Pirschfahrten lief mir der niedliche Nachwuchs verschiedenster Spezies ständig über den Weg und jedes Mal war es ein herzerwärmendes Erlebnis. Ein kleines Flusspferd spurtete freudig seinen gewichtigen Verwandten voraus, um als erster während der brütenden Mittagshitze im kühlen Nass des Luangwa zu baden.
Eine Zebra Stute leckte ihr soeben geborenes Fohlen trocken. Angestrengt versuchte sich der Neuankömmling aufzurichten und ein paar erste Schritte zu vollbringen. Ein beinah zwei Meter hohes Giraffenkalb senkte seinen langen Hals weit nach vorne und bemühte sich bei der Mutter Milch zu saugen. Nur durch Zufall entdeckte ich ein Löwenjunges, das sich alleine im hohen Gras der Savanne versteckte und mit mir neugierige Blicke austauschte. Es war unmöglich, sich von den kleinen, umherwuselnden Geschöpfen nicht verzaubern zu lassen. Im Luangwa Tal herrsche ein regelrechter Baby-Boom, teilte man mir beschwingt mit.







Seit die Wilderei effektiv bekämpft werde, wachse die Population stetig. Erfreulicherweise zählen die Naturschutzgebiete dort zu den am besten bewachten in ganz Afrika und zahlreiche Organisationen sind ruhelos beim Bestreben, dass es so bleibt und weiterhin besser wird. „Eines Tages werden auch die Nashörner zurückkehren!“, so ist man sich dort sicher.
Jeder Tag
wie ein Geschenk
Morgens um 5 Uhr starteten meine Tage in der Wildnis des Luangwa Tals. Zunächst entzündeten wir ein Lagerfeuer am Ufer des Flusses, rösteten Brotschnitten über der offenen Flamme und tranken sambischen Kaffee. Nach der kleinen Stärkung kletterte ich auch schon auf den Hochsitz des Geländewagens. In der schwindenden Finsternis der Nacht begannen die täglichen Pirschfahrten. Immerhin gab es vieles zu entdecken. Nicht selten kam es bereits in den frühen Morgenstunden zu spektakulären Aufeinandertreffen mit der Tierwelt.





Eine besonders ehrfurchtgebietende Situation ereignete sich, als ein Rudel umherstreifender Löwen die Nähe zu unserem Fahrzeug suchte. Wir hielten an und schalteten den Motor aus. Gebannt folgte ich jeder ihrer Regungen. Eine der wilden Raubkatzen schlich geschmeidigen Schrittes in meine Richtung – hätte ich die Hand ausgestreckt, ich hätte das wunderschöne Tier berühren können. Schließlich verschwanden die Löwen im grellen Schein der aufgehenden Sonne und bahnten sich weiter ihren Weg durch den Busch.
Das milde tropische Klima während meines Aufenthalts im August empfand ich als nahezu perfekt. Die Nächte waren angenehm kühl, die ersten Strahlen der Morgendämmerung ein Genuss auf der Haut. Schnell stiegen die Temperaturen und wohlige Wärme umgab mich. Lediglich gegen Mittag erhitzte das Land für ein paar Stunden auf ein anstrengendes Maß.
In diesem Zeitraum suchte ich Schutz im Schatten des Camps. Hin und wieder entspannte ich in einem Thermalbecken, das von einer natürlichen Quelle aus 60 Metern Tiefe gespeist wurde. Die Sicht von dem Ruhepol aus war grandios. Vor mir erstreckte sich eine sumpfige Überschwemmungsebene, die die verschiedensten Wildtiere anlockte.
Gegen Nachmittag zog es mich erneut in die Tiefen des Naturschutzgebiets, wo ich bis nach Einbruch der Dunkelheit blieb. Die Abende ließ ich, auf der Terrasse meiner Lodge sitzend, mit einem starken Gefühl der Naturverbundenheit ausklingen. Jeder Moment in diesem Land war ein wunderbares Geschenk.
Das Bush Camp
Obwohl ich täglich meine Kreise durch die Wildnis zog, hatte ich bisher lediglich einen Bruchteil des riesigen South Luangwa Naturschutzgebietes kennengelernt. Um in noch entlegenere Regionen zu gelangen, musste ich die Unterkunft wechseln. Mit meinem Gepäck und reichlich Abenteuerlust nahm ich eine mehrstündige, holprige Fahrt in Angriff.
Die südlichen Regionen des Parks sind schwer zugänglich und nur für einige Monate im Jahr während der Trockenzeit erreichbar. In der Regenzeit sind die meisten Wege dorthin unpassierbar. Die Strecke war staubig, uneben und mit Schlaglöchern übersät. Wir schafften kaum mehr als 20 Kilometer die Stunde. Schließlich erreichten wir bei einsetzender Abenddämmerung das Bush Camp in der Einsamkeit der Wildnis.
Das schlichte Basislager diente als Ausgangspunkt für meine bevorstehenden Wanderungen in einen besonders tierreichen Teil des Nationalparks, in den nur selten jemand vordringt. Das Camp war so rustikal wie charmant. Eine auf Stelzen gebaute Hütte aus Bambus und Gras bot mir einen rundherum offenen Schlafbereich mit Sicht auf den freien Himmel. Keinerlei Zäune umgaben das Gelände; umsichtiges Verhalten war also dringend notwendig. Jederzeit konnte es zu bedrohlichen Wildtierbegegnungen kommen. Ausgebildetes Wachpersonal sorgte für die notwendige Sicherheit. Mir wurde nahegelegt, sich nähernde Tiere nicht zu füttern und meine Hütte nicht ohne Geleitschutz zu verlassen. Ich erhielt ein Walkie-Talkie, um jederzeit erreichbar zu sein oder Hilfe anfordern zu können. Hier war ich mitten drin. Unmittelbarer hätte ich die unberührte Natur nicht erfahren können.



Den angebrochenen Abend verbrachte ich am Lagerfeuer und plauderte mit dem Ranger, der einige lehrreiche und unterhaltsame Busch-Geschichten zum Besten gab.
Langsam erlosch das Feuer, während der Sternenhimmel immer deutlicher funkelte. Ich zog mich in meine beschauliche Behausung zurück und freute mich auf die Übernachtung.
Nächtliche Besucher
Vom Lagerfeuer bis zu meiner Hütte waren es nur wenige hundert Meter. Dennoch bestand man darauf, dass ich nicht alleine durch die Dunkelheit tappte. Ich folgte einem der aufmerksamen Wachmänner. Er leuchtete mir den Weg und suchte dabei stets die Umgebung nach plötzlich auftretendem Wildtier ab. Konzentriert achtete auch ich auf jedes noch so leise Rascheln und Knistern. „Was sich wohl alles hinter den gewaltigen Mahagoni Bäumen in der Finsternis verbirgt?”, rätselte ich.
Sicher am Ziel angekommen bedankte ich mich für die Begleitung und stieg eine knapp zwei Meter hohe Treppe hinauf bis auf die hölzerne Plattform meiner spartanischen Bleibe. Strom gab es keinen. Jedoch spendete eine kleine Solarlampe etwas Licht, so dass ich das Moskitonetz um das Bett herum spannen konnte. Ich machte mich schlafbereit und mummelte mich in die kuschelige Decke ein. Eine Wärmflasche half gegen die schlagartige Kälte nach Sonnenuntergang. Aufgrund der offenen Bauweise der Unterkunft konnte ich die freie Natur entspannt vom Bett aus betrachten.
Während die glänzenden Sterne und der grelle Schein des Mondes den Luangwa River zum Leuchten brachten, lauschte ich der Sinfonie nachtaktiver Tiere, die aus allen Richtungen klang. Brüllende Löwen und grunzende Flusspferde gaben den Ton an, untermalt von dem steten Gezirpe der Grillen. Auch das Gelächter einer Hyäne hallte durch die Nacht. Die frische Luft, das Sternengewirr und die melodischen Stimmen der Wildnis wirkten hypnotisierend und trugen mich rasch ins Land der Träume.
Jäh riss mich undefinierbarer Lärm aus dem Schlaf. Noch benommen griff ich zu meiner Taschenlampe, beugte mich über das Geländer und erkannte die Ursache. Gut ein Dutzend Flusspferde stiegen nacheinander aus dem Fluss und stampften mit keuchendem Gegröle unter meiner Hütte hindurch. Über dieses markante „Wheeze Honk” kommunizieren sie mit ihren Artgenossen. Tagsüber können die schweren Tiere sich kaum vom kühlen Nass trennen, doch beim nächtlichen Grasen laufen die überraschend schnellen Hippos bis zu acht Kilometer weit übers Land. Gespannt beobachtete ich ihren Marsch, bis mich die Müdigkeit zurück ins Bett zwang.
Zu Fuß durch das Tierreich
Den Lebensraum von Wildtieren per Walking-Safari zu erkunden, ist eine enorm intensive Erfahrung. Stundenlang streifte ich durch die sambische Buschlandschaft und konnte die Wildnis so aus einer ganz anderen Perspektive erleben. Ich unternahm gleich mehrere Pirschwanderungen rund um das Bush Camp. Mitten unter den Tieren auf gleichem Boden zu wandeln, war ein aufregendes Unterfangen, bedurfte aber eines möglichst unauffälligen Verhaltens und der Fähigkeit, in brenzligen Situationen Ruhe zu bewahren. Bei der Strecke von mehr als 13 Kilometern begleiteten mich ein erfahrener Ranger, ein bewaffneter Scout der Wildtierbehörde sowie ein fachkundiger Guide mit Gespür für die Umwelt. Sie kannten das Luangwa Tal wie ihre eigene Westentasche.
Wir marschierten dicht hintereinander weg, um als ein großes Ganzes wahrgenommen zu werden. Die frei lebenden Tiere sind in dieser Abgeschiedenheit nicht an Menschen gewöhnt, dadurch schreckhaft und bleiben meist fern. Ihr instinktives Verhalten ist jedoch nur zum Teil vorhersehbar. Auch bei bedachtem Vorgehen blieb für uns ein Restrisiko. Die szenenreiche Exkursion war geprägt von einer spannungsgeladenen Atmosphäre. Wir begegneten einem langsam strauchelnden Flusspferd mit einer tief klaffenden Wunde. Die todbringende Verletzung war Resultat eines Kampfes gegen einen Artgenossen und trieb es nun weit weg von seiner Herde auf einen letzten Marsch in die Einsamkeit.
An einem anderen Schauplatz raste eine panisch kreischende Pavianherde an uns vorbei und verschwand im Geäst hoher Bäume. Doch welche Gefahr zwang sie zur Flucht? Unweit von dort passierten wir eine umherschleichende Hyäne, die lüsternd nach Beute Ausschau hielt. Im Luangwa Fluss ließen sich einige Krokodile treiben. Die gewaltigen Reptilien navigieren jedoch häufig unterhalb der Wasseroberfläche. Ich erhielt den Rat auf Abstand zum Ufer zu bleiben. Leben und Überleben bestimmte das Geschehen in dieser faszinierenden Tierwelt. Wie elektrisiert nahm ich die Umgebung war, die mir mit jedem Schritt etwas Unerwartetes bot.




Weder gab es einen Trampelpfad, noch folgten wir einer vorbestimmten Route. Wir bahnten uns einen Weg querfeldein durch den Busch, reagierten dabei auf das Umfeld und änderten spontan die Richtung. Auffällig war die sich laufend wechselnde Bodenbeschaffenheit. Mal stolperte ich über unebene, rissige Erde, mal schlurfte ich durch Sandflüsse oder lief über staubigen aber trittfesten Grund.
Wir schlängelten uns vorbei an kahlem Geäst und Gestrüpp oder schritten geradewegs über weite offene Ebenen. Von hüfthohem Gras hielten wir uns fern – nur zu gerne lauern dort unbemerkt Raubkatzen. Stets brannte die Sonne auf uns herab, doch im Schatten eines Waldes bot sich Gelegenheit zum Rasten.
Der Guide nutzte die Unterbrechung, um mich in Spurenkunde zu unterrichten. Er zeigte mir Abdrücke im Boden und konnte sie problemlos einem Tier zuordnen. Sodann begannen wir ein reges Wettsuchen. Auf dem weiteren Marsch gaben sich Elefanten, Paviane, Kudus und gar ein Leopard an ihren Spuren zu erkennen.
Überhaupt brillierten meine Begleiter mit sachkundigem Wissen, das sie unentwegt mit mir teilten. So lernte ich mehr über Flora und Fauna als aus den Lektüren, die ich über Sambia gelesen hatte. Man machte mich beispielsweise auf zahlreiche Heilpflanzen aufmerksam.
Trotz Trockenzeit gedieh die Pflanzenwelt in der Nähe zum Luangwa Fluss prächtig. Abseits der fruchtbaren Böden hingegen kontrastierte karges, lebloses Land mit Endzeitstimmung. Neben etlichen abgestorbenen Bäumen entdeckte ich überall vollständig abgenagte Tierknochen, die weiß blendend die Sonne reflektierten.
Ich versuchte an der Form der Gebeine die Spezies zu identifizieren und erkannte den Kopf eines Flusspferdes sowie das komplette Skelett eines Büffels. „Das Tier ist kaum länger tot als drei Tage.“, wusste der Ranger einzuschätzen. Sicher war es einem der vielen Raubtiere zum Opfer gefallen, für die das Tal bekannt ist. Der Ort war Fressplatz und Friedhof zugleich und glänzte vor morbidem Charme. Wir marschierten weiter. Nach gut sechs Stunden hatte ich den Bushwalk gemeistert; zwar mit schmerzendem, verstauchten Knöchel aber dafür um unschätzbar wertvolle Erfahrungen reicher.






Die Fotopirsch
38 verschiedene Wildtiere habe ich auf meiner Sambia Reise fotografiert. Die unterschiedlichen Spezies und ihre besonderen Merkmale habe ich akribisch in meinem Notizbuch vermerkt. Neben den typischen Giganten der Savanne spürte ich Wasserböcke, Leguane, Warzenschweine, Ginzerkatzen, Chamäleons, Nilgänse sogar Eulen auf. Die Liste wurde mit jedem Tag länger. Mal gelang mir ein Schnappschuss, mal legte ich mich auf die Lauer, um in aller Ruhe im richtigen Moment ein hoffentlich grandioses Bild zu schaffen.
Eine Vielzahl unscheinbarer Tiere zeigte sich zunächst nur durch das Fernglas. Vorsichtig und auf leisen Sohlen musste ich mich an sie heranpirschen. Elefanten, Giraffen und Löwen hingegen kamen neugierig bis auf wenige Meter auf mich zu.




Unter den vielen wundersamen Vögeln fanden sich Exemplare mit traumhaft farbenfrohem Gefieder, klangvollen Lauten und den irrwitzigsten Namen wie Tropical Boubou, White-crowned Lapwing oder Bee-eater.
Auch einige besonders scheue Geschöpfe bekam ich vor die Linse. So entdeckte ich durch bloßen Zufall einen Honigdachs während einer spannenden Nachtfahrt. Wer dieses Raubtier erblickt, dem wird Glück widerfahren, besagt eine alte afrikanische Weisheit – Glück empfand ich pausenlos in diesem abenteuerlichen Land. Vorausschauend hatte ich vor Beginn der Reise meine Kameraausrüstung aufgestockt, damit ich die erhofften Tiersichtungen möglichst hochauflösend festhalten konnte. Zu einer Safari gehört für mich das Fotografieren schlichtweg dazu. Letztlich möchte ich die wunderbaren Eindrücke doch mit anderen teilen und freue mich über jede gelungene Aufnahme. Trotz etlicher erfolgreicher Fotopirschs war ich dem wohl elegantesten Wildtier Afrikas noch nicht begegnet. Während meiner letzten Tage in Sambia fokussierte ich mich deshalb auf die Suche nach dem Leoparden…
Dem Leoparden auf der Spur
Seit einer gefühlten Ewigkeit fuhr ich nun schon durch das abgelegene Tal der Leoparden, wie der South Luangwa Nationalpark auch genannt wird, ohne auch nur das leiseste Knurren oder Fauchen einer der stimmgewaltigen Raubkatzen zu hören. Immerzu entdeckten wir ihre Spuren und versuchten daran auszumachen, welchen Weg sie eingeschlagen hatten. Doch stets verloren sie sich im hohen Gras der Savanne. Der Wunsch, sie aus nächster Nähe betrachten zu können, schien sich nicht erfüllen zu wollen.
Plötzlich bremste der Guide das Fahrzeug und schaute nach oben. Auf einem kahlen Baum saßen zwei Greifvögel, die gebannt in die gleiche Richtung starrten. „Ein mögliches Zeichen, dass dort irgendwo ein Leopard seine Beute frisst. Die Weißrückengeier warten darauf, ein Stück vom Kadaver abzubekommen.”, deutete der Guide das Szenario. Systematisch durchkämmten wir die Umgebung.
Es dauerte gut eine Stunde, bis wir erneut anhielten. Wir schalteten den Motor aus, lauschten und spähten. Der Guide legte den Finger auf die Lippen und zeigte auf ein raschelndes Gestrüpp. Ich wartete gespannt. Auf einmal trat das gefährliche Tier mit seinem lang gestreckten, muskulösen Körper in Erscheinung. Sein wunderschönes Fell glänzte in der Abendsonne. Gut genährt stolzierte der Leopard anmutig an uns vorbei.
Wir befanden uns mitten in seinem Territorium. Aber seine Augen offenbarten weder Zorn, Angst noch Neugier. Er ignorierte uns gänzlich. Wir folgten ihm bis weit nach Einbruch der Dämmerung. Schließlich verdeutlichte mir der Guide, dass das Raubtier schon bald in den “Hunting mode” schalten würde. Mit einer für Raubkatzen typischen physischen Strategie gehen sie nachts auf Beutefang. Die Jäger verfügen in der Dunkelheit über ein hervorragendes Seh- und Hörvermögen: fünfmal besser als das eines Menschen. Somit können sie ihre Opfer besonders leicht überwältigen. Es war Zeit, dem Leopard seine Privatsphäre zu lassen.




Sundowner
Jeden Abend pünktlich zur selben Zeit suchte ich mir einen idyllischen Platz irgendwo am Ufer des Luangwa Flusses und zelebrierte den Sonnenuntergang mit einer Tasse schwarzem Tee. Es war der geruhsame Abschluss eines aufregenden Tages. Auch am Vorabend meiner Abreise genoss ich das farbenprächtige Naturschauspiel. Während sich der Himmel Sambias für mich ein letztes Mal in ein berauschendes gelb-orange-rotes Spektrum verwandelte, betrachtete ich eine Elefantenherde gemächlichen Tempos den Fluss überqueren. Entschleunigender hätte das Szenario nicht sein können.
In Gedanken ging ich meine gesammelten Erfahrungen, die ich in der Wildnis Sambias gesammelt hatte, durch. Die zahlreichen Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum und Rhythmus erlebt zu haben, hatte etwas ungemein erfüllendes. Mich auf die ursprüngliche, unverfälschte Natur zu fokussieren – ohne die Überreizung eines hektischen Großstadtdschungels – entspannte mein Gemüt, schärfte die Sinne und stärkte meine Sicht auf das Wesentliche. So ließ ich diese Reise mit einem wunderbaren Wohlgefühl ausklingen – wohlwissend, dass mein Abschied aus Sambia erst der Beginn vieler weiterer Abenteuer auf dem afrikanischen Kontinent war.








